Ich bin Váli, Sohn Odins, geboren von der mächtigen Jötunn Rindr, und mein Schicksal war lange bevor ich meinen ersten Atemzug nahm, besiegelt. Anders als die anderen Götter wurde ich nicht geboren, um aufzuwachsen und die Welt zu verstehen. Nein, meine Existenz begann und endete mit einem einzigen Ziel. Der einzige Zweck meines Lebens war Rache—Rache an meinem eigenen Bruder, Höðr.
Von dem Moment an, als ich meine Augen öffnete, wusste ich, dass ich anders war. Ich kannte keine Kindheit, keine Freude am Spiel oder Lernen, nur einen alles verzehrenden Drang, die Aufgabe zu erfüllen, die mir auferlegt worden war: meinen blinden Bruder Höðr zu töten, der unwissentlich das Leben unseres Lichts, unseres geliebten Balder, genommen hatte. Doch obwohl Höðr mein Bruder war, fühlte ich keine Verbindung zu ihm, kein Band, das mich hätte zurückhalten können. Denn ich kannte ihn nicht, und er kannte mich nicht. Er war nur ein Schatten, ein Ziel, das getroffen werden musste.
Ich wurde mit übernatürlicher Geschwindigkeit geboren, mein Körper wuchs innerhalb eines einzigen Tages zum Mann heran. Mit diesem schnellen Wachstum kam auch Kraft, und ich wusste, dass ich für einen Zweck geschaffen worden war—diesen Zweck und nichts anderes. Mein Vater, Odin, sorgte dafür, dass ich die Waffe erhielt, die bestimmt war, mein Schicksal zu erfüllen. Ein Speer, gefertigt aus einem gefallenen Ast von Yggdrasil, dem Weltenbaum, wurde in meine Hände gelegt. Dieser Speer war nicht nur Holz; er trug die uralte Kraft des Kosmos, und sein Zweck war so sicher wie meiner.
Höðr, mein blinder Bruder, saß ahnungslos gegenüber dem Schicksal, das ihm bevorstand. Er hatte in Trauer über Balders Tod gelebt, wusste jedoch nichts von meinem Kommen, nichts von der endgültigen Gerechtigkeit, die ihn treffen würde. Ich fand ihn am Fuße einer Klippe, tief in seine Gedanken versunken—vielleicht geplagt von Schuld, vielleicht völlig unwissend über sein Vergehen. Ich näherte mich ohne Zögern, denn meine Hand wurde von einer Kraft geführt, die größer war als ich selbst.
Als ich vor ihm stand, erhob ich meinen Speer. Der Speer, gefertigt aus dem Holz von Yggdrasil, summte in meiner Hand, als ob er sein Schicksal erkannte. Ich richtete ihn auf seine Brust, und mit einer Geschwindigkeit, die fast meine eigene Kraft übertraf, stieß ich den Speer tief in sein Herz. Höðr, mein blinder Bruder, stieß einen letzten Atemzug aus, und in diesem Moment spürte ich, wie die Last meiner Aufgabe von meinen Schultern genommen wurde. Sein Tod war schnell, und sein Leiden endete in einem Augenblick.
Doch nicht nur Höðrs Leben endete in diesem Moment. Sein letzter Atemzug löste eine Kettenreaktion in Midgard aus. Vulkane brachen aus, als ob sie im Einklang mit seinem letzten Ausatmen atmeten. Flammen und Rauch stiegen zum Himmel, und die Erde bebte unter ihrer Kraft. Dies war nicht nur eine Naturkatastrophe; es war ein Omen, ein Vorbote des kommenden Unheils, eine kleinere Eiszeit, die sich über Midgard ausbreiten würde—eine Zeit der Dunkelheit und Kälte.
Ich stand da, während sich die Welt um mich herum veränderte, und ich sah zu, wie mein Speer weiterhin in Höðrs Brust steckte. Er hatte seinen Zweck erfüllt, genau wie ich meinen erfüllt hatte. Und nun, mit der vollstreckten Gerechtigkeit, fühlte ich mich plötzlich frei. Frei von dem Fluch, der mich seit meiner Geburt angetrieben hatte. Frei von dem unaufhaltsamen Drang nach Rache, der meine Existenz definiert hatte. Ich hatte meinen Bruder nie gekannt, und nun, da er nicht mehr war, kannte ich auch nicht mehr die Wut und den Hass, die in mir gebrannt hatten.
Als ich den Speer aus seinem leblosen Körper zog, spürte ich eine Welle der Erleichterung über mich hinwegfegen. Mein Leben war nicht länger an die Mission gebunden, die mich in diese Welt gebracht hatte. Ich war nicht länger ein Werkzeug im Dienst der Rache. Zum ersten Mal fühlte ich mich wirklich frei. Ich konnte nun wie die anderen Götter leben, ohne von meinem Schicksal gefangen zu sein. Ich konnte frei in Asgard wandern, mich an den Dingen erfreuen, die ich zuvor nie bemerkt hatte—die warmen Strahlen der Sonne, die sanfte Berührung des Windes und das Lachen meiner Mitgötter.
Ich bin Váli, Sohn von Odin und Rindr, und mein Schicksal war schwer, doch nun ist es erfüllt. Ich habe meine Pflicht getan; ich habe Gerechtigkeit gebracht, und nun stehe ich vor einem neuen Anfang. Ich kann frei leben, wie alle anderen Götter. Denn ich bin nicht länger durch die Ketten der Rache gebunden, sondern befreit, um mein eigenes Schicksal in der Welt zu schmieden, die noch vor mir liegt.